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Lasst die Kinder wieder Kinder sein

Drei Bücher sind in diesem September 2011 erschienen, die aus verschiedenen Perspektiven alle ein und dasselbe Thema beleuchten: es geht ihnen allen um die Verantwortung der Eltern gegenüber ihren Kindern, bzw. die Notwendigkeit einer Rückkehr zu einer bewussten Übernahme dieser Verantwortung.


Die ZEIT-Journalistin Susanne Gaschke klagt in ihrem Buch „Die verkaufte Kindheit“ an, dass die Kindheit zu einem Objekt von Geschäften verkommen ist, dass sie regelrecht „verkauft“ werden von Firmen und Medien, für die Kinder der ideale Kunde sind. Ein Phänomen, das es noch nicht so lange gibt, dass aber den Kindern für ihre Entwicklung wesentliche Dinge sozusagen stiehlt.
Gefragt, was sie denn bei all ihrer Kritik unter einer glücklichen Kindheit verstehe, hat Susanne Gaschke geantwortet: „Das wird jeder Mensch unterschiedlich beantworten. Aber einige Dinge gehören dazu: Geborgenheit und Verlässlichkeit, Liebe, Zuwendung, Gelobtwerden, Verstandenwerden. Kinder brauchen ein ‚Draußen’, sie müssen die Welt erklettern und erkriechen. Sie müssen ausreichend schlafen. Und sie brauchen Bücher.“

Und vor allen Dingen, so Gaschke, brauchen sie Eltern, die bereit sind, auch einmal Nein zu sagen, sie brauchen  Eltern, die erwachsen und reif handeln, damit ihre Kinder möglichst lange Kinder bleiben können.

Ihre Kollegin bei der FAZ, Melanie Mühl, hat zur gleichen  Zeit, mit ihrem Buch „Die Patchwork-Lüge“ eine der wesentlichen und dramatischen Lebenslügen von immer mehr Menschen und einer ganzen Gesellschaft angegriffen. Sie beklagt eine Gesellschaft, die nicht wahrhaben will, welche schlimmen und meist lebenslangen Folgen die immer mehr zunehmenden Scheidungen von Ehen für die sogenannten Scheidungskinder hat. Eine Gesellschaft, deren Mitglieder in einer immer größeren Zahl einfach nicht erwachsen werden wollen:
„Heute ist uns die Vorstellung davon, was Erwachsensein heißt, abhandengekommen. Erwachsen sein heißt, Entscheidungen zu treffen. Indem wir uns auf eine Option festlegen, schließen wir andere Optionen aus. Wir verzichten auf etwas und übernehmen für etwas Verantwortung, für einen Menschen zum Beispiel oder für eine Familie.
Erwachsensein bedeutet, die banale Tatsache zu akzeptieren, dass sich nicht jeder Wunsch verwirklichen lässt und Lebensabschnitte einander abwechseln. Erwachsensein kann ein beruhigendes Gefühl vermitteln. Die Möglichkeitswelt ist kleiner geworden, sie erfordert keine permanenten Revision, weil man nicht fürchtet, Erlebnisse, Menschen oder irgendetwas sonst zu verpassen. Man ist angekommen.“

Der Kinderpsychiater und Psychotherapeut Michel Winterhoff setzt in seinem neuen hier anzuzeigenden Buch „Lasst die Kinde wieder Kinder sein!“ in der Analyse seinen Schwerpunkt etwas anders, kommt aber zu ähnlichen Schlüssen. In einem Interview sagt er:
„Wenn man sich in unserem Alltagsleben umschaut, sieht kann immer mehr Menschen, die sich scheinbar in einer Art Hamsterrad befinden. Da gibt es keine Ruhe, keine Erholung, nur ein ständiges Weiterdrehen auf immer höheren Touren. Diese Menschen verhalten sich, als befänden sie sich direkt im Angesicht einer große Katastrophe.“

Er möchte mit seinem Buch dazu beitragen, die Zusammenhänge zu verstehen, die uns in das Rad hineingetrieben haben. Die meisten Menschen, eben auch Eltern von Kindern, haben sich dort eingerichtet, ihre krank gewordene Seele sucht ständig nach Dingen, die sie im Hamsterrad festhalten. Doch das ist weder für sie selbst noch für ihre Kinder gut. Denn Erwachsene, die ständig im „Katastrophenmodus“ sind, wie Winterhoff das nennt, übertragen diesen Stress auf ihre Kinder und können sich dann  auch nicht mehr intuitiv richtig verhalten. Die Folge sind dauerhafte Beziehungsstörungen zwischen den Eltern selbst und auch mit ihren Kindern. Auf Dauer gehetzte Menschen können die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens in der Gesellschaft nicht mehr tragen.

Mit vielen Beispielen auch aus seiner therapeutischen Praxis zeigt Michael Winterhof Alternativen auf, Auswege aus dem Teufelskreis des Mehr, Schneller, Besser ….
Nur die Erwachsenen, so seine überzeugende These, die sich in ihrem Umgang mit Distanz, mit Ruhe, Selbstreflexion und dem Wiederentdecken ihrer Intuition neu definieren und verändern, können ihren Kindern wieder ein echtes und erwachsenes Gegenüber werden. Es ist genau das, was sie brauchen, um selbst erwachsen werden zu können und um später, im Verhältnis zu ihren eigenen Kinder, nicht das zu wiederholen, was Melanie Mühl in ihrem Buch so beschreibt:

„Wir sprechen nicht über ein paar Kindheitstraumata, die nur die Persönlichkeit Einzelner betreffen, wir sprechen über nicht weniger als den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Kinder, die in unverbindlichen Sozialkonstruktionen aufwachsen, die sich selbst überlassen werden, verlieren jedes Gefühl für Bindungen, für Freundschaft, Liebe und Solidarität. Sie sind Vagabundierende, an keinem Ort verankert, ohne feste Beziehungen, nicht einmal der zum eigenen Ich. Das macht sie zu tickenden Zeitbomben. Denn irgendwann werden die Kinder Erwachsene sein, und das psychische Profil einer ganzen Generation prägen.“

Michael Winterhoffs Buch ist zusammen mit den anderen eine von vielen Stimmen, die in diesen Zeiten für die Rückkehr und die Wiederbesinnung  auf Werte und Fähigkeiten werben, die uns im Bezug auf unsere Kinder über Jahrzehnte schleichend aus den Händen genommen wurden. Wir haben es zugelassen, deshalb können wir es auch wieder ändern.

Michael Winterhoff, Lasst die Kinder wieder Kinder sein!, Gütersloher Verlagshaus 12011, ISBN 978-3-579-06750-6

Gastbeitrag von Winfried Stanzick

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