Wenn ich groß bin, werde ich Seehund
Wenn ich groß bin, werde ich Seehund

Der 1955 geborene Bilderbuchautor und Künstler Nikolaus Heidelbach ist mit seinen Bilderbüchern eine auffällige Ausnahmeerscheinung in der deutschen Bilderbuchlandschaft. Zuletzt hatte er 2007 mit seinem preisgekrönten Buch „Königin Gisela“ ein anspruchsvolles Kinderbuch geschrieben und gezeichnet, das sich schnellem Gebrauch widersetzt, das vom Vorleser und vom Kind „erarbeitet und erschlossen“ werden will.

Sprachlich und ästhetisch einzigartig gelang es ihm damals ein Thema zu aktualisieren ohne es ein einziges Mal anzusprechen. Es geht um die manchmal bodenlose Anspruchshaltung von Kindern, hier im Besonderen von kleinen Mädchen, die sich aufführen und verhalten, als wären sie Königinnen.
Trotz der zahlreichen Auszeichnungen sind die meisten Bücher von Nikolaus Heidelbach in Deutschland weniger bekannt als zu erwarten wäre. Das mag daran liegen, dass Heidelbach als jemand gilt, der mit seinen Bildern die Leute polarisiert. Das heißt, dass er die Betrachter mit seinen Darstellungen mit etwas konfrontiert, das sie entweder unzumutbar oder großartig finden.

Auch im vorliegenden Buch ist das so und auch das das Meer spielt wieder eine große Rolle. In „Königin Gisela“ war die Hauptperson mit ihrem Vater ans Meer gefahren, der kleine Junge in dem neuen Bilderbuch lebt am Meer und mit dem Meer seit er auf der Welt ist. Sein Vater ist Fischer und seine Mutter führt zu Hause einen vorbildlichen Haushalt. Der kleine Junge ist ein guter Schwimmer. Er kann es schon immer. Wenn er von seinen Streifzügen am Strand nach Hause kommt, und seiner Mutter einen schönen Stein oder eine seltene Muschel mitbringt, erzählt sie ihm von all den Wesen, die es unter Wasser auch noch gibt. Und der Junge stellt sie sich vor, von Nikolaus Heidelbach mit wunderbaren, fantasievollen und ausdrucksstarken Bildern in Szene gesetzt.

Eines Tages beobachtet der Junge, wie sein vom Fischen heimgekehrter Vater etwas im Geräteschuppen versteckt. Der Junge sucht am nächsten Tag und findet ein Seehundfell:
„Da wusste ich sofort Bescheid. Mama hatte mir natürlich auch von den Seehunden erzählt, die an Land gehen, ihr Fell abstreifen und Menschen werden. Und das Fell verstecken sie und hüten es wie einen Schatz, damit sie wieder ins Meer können, wenn sie genug Mensch gewesen sind.“

Als am nächsten Tag seine Mutter verschwunden ist, und der Vater und sein Sohn auch nach längerer Suche das Seehundfell nicht finden können, da ist ihm dieses Bild ein Trost, denn er weiß: die Mutter wird nicht wieder kommen.

Auch dieses Bilderbuch muss sich durch häufiges Anschauen und Vorlesen erst erschließen. Es lebt von seinen wunderbaren Bildern und seiner oft nur leise angedeuteten Geschichte, die viele Interpretationen zulässt. Heidelbach hat auch in seinem neuen Buch wie schon so oft vorher Ängste, Träume und Gefühle von Kindern in reale Bilder gebracht. Die Wirklichkeit wird immer wieder fantastisch durchbrochen und bekommt dadurch etwas Magisches, Doppelbödiges oder hintergründig Komisches.

Nikolaus Heidelbach, Wenn ich groß bin, werde ich Seehund, Beltz 2011, ISBN 978-3-407-79443-7

 

Gastbeitrag von Winfried Stanzick

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