Auf nach Wisch

Wohin? Nach Wisch! Ungläubig schaut der Bahnbeamte in seinen Computer. Guter Mann, da wo Sie hinwollen, fährt niemand hin von uns. Das Einzige was ich Ihnen anbieten kann, ist eine Fahrkarte nach Buxtehude und dann müssen Sie schauen, wie sie weiterkommen. Buxtehude? Ich hatte Glück. Immerhin nicht Bielefeld. Das hätte heiter werden können. Vor rund sechs Wochen war eine Einladung zu einer Goldenen Hochzeit eingetrudelt. Das mussten wir doch mitmachen.

Ich musste kurz überlegen. Buxtehude?! Das sagt mir irgendwas. Und ja, dann fiel es mir ein: Dorthin fliegt der Zauberer Petrosilius Zwackelmann aus „Räuber Hotzenplotz“ zu einem Zaubererkongress. Na, das konnte ja heiter werden. Die Bahnfahrt von Nürnberg nach Hamburg-Harburg war problemlos. Auch der Metronom, der uns nach Buxtehude bringen sollte, kam und nun war guter Rat teuer. Einen Bus sollte es geben. Zweimal am Tag. Einmal morgens, einmal mittags. Ja, so ist das wohl da, wo der Horizont den Boden küsst, wo die Weite das Leben bestimmt. Die Gegend, rund 60 Kilometer südlich von dem Ort, wo ich aufwuchs.

Nachdem uns der Zug ausgespuckt hatte, warteten wir auf ein Taxi. Ein kleiner Bus kam um die Ecke. Der Fahrer weihte uns in die Geheimnisse des besten Apfels aus ganz Deutschland ein und fuhr vorbei an Apfelbäumen. Apfelbäume, soweit das Auge reichte. Wenn man nicht sogar noch ein ganzes Stück weiter. So ist das hier oben. Man hat ja sonst nichts außer Weite und guter Luft. Hier standen wir jetzt plötzlich vor dem Fährhaus, das als Veranstaltungsort auserkoren war und die Zeitreise begann.

Zeitreise im Fährhaus
Zeitreise im Fährhaus

Der Teppich, die Ausstattung, das Ambiente und die Betreiber. Dies war alles in den 1960er Jahren stehengeblieben und hatte, je länger wir die Tapete und den aufdringlichen Teppich betrachteten, seinen ganz eigenen Charme. Das Haus, von 1908, war immer wieder Stück für Stück erweitert worden. Hier ein Anbau, da noch ein kleiner Festsaal. Als wir ankamen, wurde gegenüber des Festsaales schon kräftig gefeiert. Ein 75. Geburtstag. So ist das auf dem Land. Es roch nach Salzkartoffeln und Rotkohl. Wie wir doch Hunger bekamen. Nach der Fahrt brauchten wir nun auch etwas.

„Können wir hier zu Abendessen?“ fragte ich die bekittelte ältere Dame, die sich mit einem knappen „Moin“ vorgestellt hatte. „Nein!“ hieß es. Ich schaute sie an. Meine Augen wurden größer. Die meiner Kinder und meiner Frau auch. Naja, etwas gesprächiger hatte ich mir das schon vorgestellt.

2 Kilometer nach rechts oder links

Auf mein kurzes Nachbohren, hieß es, es gäbe eine Gastwirtschaft in jede Richtung. Beide ungefähr zwei Kilometer entfernt. Wir gingen zum Deich. Keine Schafe in Sicht und setzten unseren Marsch nach links fort. Die letzten 15 Euro in bar fühlten sich so leicht an im Portemonnaie. Gut, sie würden schon eine EC-Karte in der Gastwirtschaft nehmen, so dass wir da was essen können. Schließlich sollte die Goldene Hochzeit erst am Sonntag um 12 Uhr beginnen.

Ein angeklebter Zettel auf der Eingangstür zur Wirtschaft informierte uns darüber, dass leider, leider, das EC-Kartenlesegerät defekt sei und keine Karten genommen werden könnten. Wir schauten uns an. Drei Köpfe drehten sich in unsere Richtung und nickten, als wir hereinpolterten. Auf die Frage, ob denn das Kartenlesegerät immer noch defekt sei, kam nur ein „mmmmmh“. Gut. Also dann mal vier heiße Schokoladen und dann mal weitersehen. Rückmarsch über den Deich.

Ein großer Aufsteller begrüßte uns vor dem Fährhaus. „Feuerwehrfest“ verlautete es und ließ großes erwarten. Der Festsaal füllte sich. Am Ende sollten rund 400 Feuerwehrleute und Angehörige es dort bis 3 Uhr in der früh krachen lassen.

Der Tag der Feier

Erst einmal an den Deich
Erst einmal an den Deich

Der Sonntag der Goldenen-Hochzeitsfeier zeigte sich von seiner sonnigen, wenn auch sehr frostigen Seite. Erst einmal auf den Deich und den Kopf durchpusten lassen. Oh, wie hatte ich das vermisst. Das Frischlufttanken war auch bitter nötig, denn beginnen die Norddeutschen mittags mit dem Feiern, wird nicht so schnell aufgehört.

Festlich eingedeckt
Festlich eingedeckt

Punkt 12 waren nahezu alle Gäste da. Festlich war es eingedeckt. Dort, wo noch vorher die Feuerwehr gefeiert hatte. Der Festsaal, dieses Mal mit 120 Gästen, oben drumherum die Galerie, auf der später Kaffee und „Feingebäck“ zu sich genommen werden konnte, während sich der Saal in eine Tanzfläche verwandelte.

Das Menü klang gut. Wein und sonstige Getränke wurden immer schnell gebracht. Die Platten mit Fleisch und Beilagen wurden nie richtig leer. Schließlich war man hier auf dem Land. Da kann man sich Essenspausen anscheinend nicht vorstellen. Und als gäbe es kein Morgen. Doch bevor wir richtig mit dem Essen beginnen konnten, wurde ein Liederheft ausgeteilt. Dreizehn Stücke. Wie sollte das funktionieren? Essen, singen,… Der Hausherr, Herr über Fährhaus und seine Bediensteten erschien mit umgeschnallter Quetschkommode und haute in die Tasten. Zur Einstimmung ein Lied. Und immer zwischen den einzelnen Gängen. So war es zu Beginn nahezu unmöglich, sich mit dem Tischnachbarn zu unterhalten.

Bis sich die Balken biegen

Einmal losgelassen, wird gefeiert. Wenn dann richtig. Das ist auch richtig so. Denn eine Goldene Hochzeit bedeutet nicht nur, 50 Jahre mit ein und demselben Partner verheiratet zu sein. Es ist viel mehr.  Es ist die Akzeptanz und Wertschätzung des anderen gegenüber. Das Aufeinander-Verlassen und -Vertrauen können.

Ein Liebesgeständnis auf einer Bank auf dem Deich
Ein Liebesgeständnis auf einer Bank auf dem Deich

11 Stunden dauerte die Feier. Ja, wenn schon, denn schon. Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen versüßte das Aufstehen, der starke Kaffee sorgte für gute Laune. So konnten wir den Heimweg antreten. Mit vielen tollen Momenten im Herzen. Auf das es einem selbst gelingen möge.

Ein Liebesgeständnis auf einer Bank auf dem Deich
Ein Liebesgeständnis auf einer Bank auf dem Deich

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